Die Madonna

Prof. Dr. Hans Walter Herrmann – Text vom 04.05.2005

Nicht nur detaillierte Beschreibung und kunstgeschichtliche Einordnung der Statue, sondern auch über ehem. Standort, mögliche Gründe ihrer Beschädigung und Vergrabung.

1. Auffindung

Mitte Mai 1991 in der Nordwestecke der Vorhalle nur wenig unterhalb der Sandsteinplatten des alten Bodenbelags aufgefunden
Beschädigt, Hände der Mutter und Kopf des Jesuskindes abgeschlagen. Der Rumpf lag des Kindes lag über der linken Schulter der Mutter,
Figur war von zahlreichen Horizontal und Diagonalrissen durchzogen.
Die Beschädigungen datieren aus drei unterschiedlichen Zeiten:

1) Verstümmelung der Figur des Jesuskindes durch Abschlagen von Kopf und Ärmchen und Beschädigung der Gewandfalten der Madonna vor der Vergrabung

2) Rißbildung während der Lagerung in der Erde,
vielleicht hervorgerufen durch die unterschiedliche Nachgiebigkeit des Untergrundes (nur unter einen Teil der Statue reichender älterer Steinsarg in Verbindung mit der Belastung durch das neun Jahre lang (1873-1881) hier abgestellte alte Geläut mit einem Gesamtgewicht von 30 Zentnern.

3) Beschädigungen an der rechten Brust unmittelbar vor der Auffindung im Mai 1991.

Die sorgfältige Bodenuntersuchung des mit der archäologischen und kunstgeschichtlichen Begleitung der Sanierungsarbeiten Beauftragten – Herrn Emanuel Roth – nach weiteren Bruchstücke blieb ergebnislos

2. Beschreibung

Beim Vergleich mit anderen Madonnenplastiken beschränke ich mich geographisch auf den mittel- und westeuropäischen Bereich, zeitlich auf den Zeitraum vom späten 13. bis frühen 15. Jh.

2.1. Material

Darstellung und Ausformung sind oft vom Material abhängig, das bedeutet, dass zum Vergleich in erster Linie Steinplastiken herangezogen werden sollen weniger Holzfiguren, Elfenbeinschnitzereien, Metalltreibarbeiten, Emailleschmelz, Miniatur- und Tafelmalerei.
St. Arnualer Madonnenstatute besteht aus sehr feinkörnigem Kalkstein, der aus der südöstlichen Champagne stammen dürfte (Legrum, ehem. Institut f. Steinforschung, Wiesbaden).

2.2. Größe und Gewicht

112 cm hoch, Gewicht vier Zentner.

2.3. Bearbeitung

Beschädigungen der Figur, vor allem Verlust beider Hände der Mutter, des Kopfes und der Ärmchen des Jesuskindes wurden schon erwähnt.

Keine gleichmäßig plastische Ausarbeitung des gesamten Körpers, Rückenpartie nur wenig bearbeitet, nicht vorgesehen, dass die Figur von allen Seiten aus betrachtet werden konnte, sondern bestimmt zur Aufstellung vor einer Wand oder vor einem Pfeiler oder in einem Gehäuse.
Oberfläche unterschiedlich bearbeitet, manche Partien wurden fein geglättet, andere in der Scharierung mit einem Zahneisen belassen

2.4. Körperhaltung

Darstellung von Maria mit Kind (oder Sohn) in der christlichen Kunst in unterschiedlicher Körperhaltung, hier Beschränkung auf „Stehmadonna“.

Es bedarf einer gewissen Zeit, ehe Maria in der christlichen Kunst als einzeln stehende Statue gestaltet wird, sitzend einer Personengruppe oder allein umgeben von Löwen, Tauben oder allegorischen Figuren. schon früher sowohl in der Bauplastik, z. B. Tympana von Kirchenportalen oder als einzelne mobile Sitzfigur ( Reliquienstatue aus Conques 11.Jh.)

Stehmadonna in der Kathedralplastik bald nach 1200 am Mittelpfosten des Portals von ND Paris, um 1210-1220. Hier tritt erstmals die Skulptur der stehenden Madonna als Einzelfigur an die Stelle der thronenden, gleichzeitig verändert sich der Bezug zum Beschauer, Höhepunkt ist am Portal des nördlichen Querhauses von ND Paris, um 1260, erreicht.
Einzelne nicht ortsfest verankerte Stehfiguren:
sogen. Hermann Josef Madonna aus St. Maria im Kapitol , Köln (um 1220) und Paderborn (um 1240).

Für zeitliche Einordnung von Stehfiguren orientiert sich die Kunstgeschichte u.a. an der Körperhaltung.
Unsere St. Arnualer Figur nicht kerzengerade, wirkt daher nicht steif, sondern zeigt eine leichte Wellenlinie, aber nicht in der von anderen Stauten her bekannten S-förmigen Ausprägung.
Der Kopf ist nach links geneigt, die linke Hüfte zur Abstützung der Haltung des Kindes mit dem linken Arm, etwas herausgedrückt, bei dieser Haltung ist das linke Bein stärker belastet, ist also das Standbein, das rechte dann das Spielbein, die Spitzen beider Füsse werden vom Gewand nicht abgedeckt, die Spitze des rechten Fusses überragt ein wenig den Sockel /Plinthe.
In der Beuge des linken Armes sitzt das Jesuskind, ursprünglich sichernd gehalten durch die linke Hand der Mutter, die infolge der Beschädigung im Detail nicht mehr beschreibbar ist,
Auch die rechte Hand und der vordere Teil des Unterarmes sind abgeschlagen.
Bei ungefähr zeitgleichen Madonnenplastiken sind verschiedene Spielarten der Haltung des rechten Armes belegbar:

1. auf der rechten Brust auffliegend, bei St.A. Mad.eindeutig nicht

2. Zuwendung zum Kind

  • die Wange des Kindes streichelnd
  • die Hand dem Kind reichend
  • dem Kind eine Frucht reichend.

Diese drei Möglichkeiten der Zuwendung zum Kind scheiden ebenfalls aus, weil das Ausstrecken des Armes über die Brust hin zum Kind eine andere Darstellung des Oberarmes und der Gewandfalten über der Brust verlangt hätte.

3. das Gewand raffend, scheidet ebenfalls aus, weil nicht eine Raffung der Falten nach rechts hin, sondern gerade entgegengesetzt – diagonal vom rechten Fuß zur linken Hand deutlich erkennbar ist.

4. ein Attribut haltend, dabei zwei unterschiedliche Handhaltungen möglich:
Hand frei herausragend oder abgewinkelt auf der Hüfte aufliegend,
Erhaltungsgrad lässt auf eine frei herausragende Hand mit Attribut schließen. Auf mögliche Attribute werde ich noch zu sprechen kommen. Bei Aufliegen auf der Hüfte müsste der rechte Unterarm im stumpfen Winkel nach unten gesenkt sein. Trotz Beschädigung beider Unterarme ist eine Haltung der linken und rechten Hand in ungefähr gleicher Höhe erkennbar.
Das Haar der Mutter ist schulterlang, seitlich und hinten durch einen Schleier abgedeckt, umrahmt dreiseitig ihr Gesicht
Die Augen sind von eigentümlichem Zuschnitt, es fallen auf eine leichte Schrägstellung und die bis zu den Schläfen geführten mandelförmigen Lidspalten
Die sehr detailliert ausgearbeiteten Augen sind nicht direkt auf das Kind gerichtet, während die Ausrichtung des Rumpfes des Jesuskindes – nicht frontal zum Beschauer,- vermuten läßt, dass es die Mutter ansah.
In einer ellipsenförmigen Vertiefung auf der Brust dürfte ein Halbedelstein oder Glasfluß als Schmuckelement gesessen haben, vermutlich in Metall gefasst, auch eine als Reliquienbehälter dienende Kapsel ist möglich.

2.5. Kleidung bzw. Tracht

Vier Kleidungsstücke übereinander
1) Längerer Schleier, der auf der rechten Seite fast bis zur Hüfte reicht und dessen links herunterfallender Teil um den Unterkörper und die Beinchen des Kindes geschlungen ist.
2) ein vermutlich weiß getönter Mantelumhang mit spärlichen Resten goldener Bördelung
3) darunter ein blaues bis zum Boden reichendes Gewand mit karminrotem Innenfutter( am besten an den Ärmeln erkennbar).
4) ein Untergewand, dessen oberer Rand am Hals und am Stumpf des linken Unterarms ein wenig sichtbar wird.

In der Faltenbildung des Gewandes ist ein Diagonalzug vom rechten Spielbeinfuß zur linken Hüfte erkennbar und auf der verbleibenden rechten Körperhälfte eine plastisch schön ausgearbeitete Vielzahl von Schüsselfalten von Brusthöhe bis zum rechten Knie.
Zwischen den Falten abwärts von der Hüfte hängt das Gürtelende mit goldenem Beschläg.

Jesuskind im 14.Jh. meist bekleidet dargestellt, aber auch nackt ( Mörchingen, Münster S.78), in unserem Fall ist der Oberkörper nackt , von der Hüfte an abwärts in das Schleierende eingehüllt, unter dem sich das linke Füßchen abzeichnet.

2.6. Farbgebung

Farbgebung der Gewandung ist von der theologischen Deutung abhängig, Königin, Mutter, Magd
Häufigste Gewandfarbe blau
als Himmelskönigin (Regina Coeli)meist Purpur.
Weiß als Symbol der Reinheit, also Maria Immaculata

Ausser der bei der Beschreibung der Kleidung genannten Farbreste sind noch vorhanden:
Wangenrot,
Lippen, Augenbrauen und Pupillen sind farblich abgehoben, Haar golden.
Roter und blauer Dekor an der Krone.
Der Rumpf des Jesuskindes zeigt Inkarnat mit einer am Hals aufgemalten Korallenkette.
Nach Ansicht des Restaurators wurde die Figur bald nach ihrer Fertigstellung farbig gefasst; denn er hat keine Schmutzpartikel zwischen Steinoberfläche und Farbschichten festgestellt.

2.7. Attribute

2.7.1. Attribute Mutter

Attribute können bei einer Madonnenfigur erwartet werden

  • am Kopf
  • meist nur an einer Hand, denn die andere hält in der Regel das Jesuskind im Arm
  • am Sockel oder Bodenplatte.

Nicht immer werden von den Bildhauern alle die Möglichkeiten zur Anbringung von Attributen auf dem Kopf und der Bodenplatte genutzt., aber fast immer eine Hand.
Kopf
Krone über Schleier , mit erhaben gearbeitetem Dekor, der wohl Halbedelsteine oder Glasfluss andeuten soll und Spuren roter und blauer Bemalung trägt.
Krone hat Form einer Laubkrone, deren Spitzen aber abgebrochen sind, im südbelgischen Bereich öfter deutlich höhere Bügelkronen.
Hand
Attribute in der freien Hand:

  • Szepter ( nicht mehr so oft wie früher), das Vorhandensein einer Krone zieht nicht notwendigerweise auch ein Szepter nach sich, es gibt viele Beispiele gekrönter Marienstatuen ohne Szepter (Thorn)
  • Lilie
  • Rose
  • andere Blumen, Blütenzweig
  • Zweig mit Äpfeln (Gent um 1380).

Erst später, im sogenannten weichen Stil um 1400 verbindet sich Frömmigkeitshaltung mit lyrischer und höfischer Stilisierung. Mutter spielt mit dem Kind, reicht ihm Blumen, lernt es lesen, schreiben oder musizieren, noch später reicht Löffel mit Brei.

2.7.2. Attribute Kind

Auch die Darstellung des Kindes wird im Laufe des 14.Jhs. lockerer und freier, blickt nicht immer den Beschauer an

  • blickt der Mutter in die Augen
  • greift nach ihrem Kinn oder streichelt es
  • streichelt Wangen der Mutter
  • spielt mit ihrem Schleier
  • reicht ihr einen Vogel als Sinnbild der Seele (Köln, Schnütgen-Museum, Mörchingen Abb. 11 u.30)
  • Apfel (Gent um 1380)
  • Buch / Artois, Cambrai, Tournai 1375/78), dies allerdings bei Daarler Madonna

auszuschließen, denn Buch wird meist mit zwei Händen gehalten, dadurch stärkere Hinwendung zum Beschauer.

Sockel oder Bodenplatte
Kein Sockelschmuck, Sockel bewußt unregelmässig gearbeitet, vordere Seite breiter als Rückseite, ungefähr Form eines Parallelogramms ohne scharfe Begrenzungslinien
In anderen Fällen rechteckiger oder runder Sockel mit Profilierung (Hohlkehle) oder Laubdekor oder Blendmaßwerk.

3. Stilistische Einordnung und Herkunft der Figur

Erster Sbr. Ordinarius für Kunstgeschichte und Gründer des inst.f. K´gesch. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth hat sich jahrzehntelang intensiv mit der gotischen Plastik Lothringens befasst und einen spezifisch „lothringischen“ Typ des Muttergottesbildes herausgearbeit mit folgenden Eigenheiten:

  • gedrungene Proportionierung
  • betonte Ausformung der reliefartigen Schauseite
  • breite Front
  • schlichtere Rückenpartie
  • schmale Seitenansichten
  • das physiognomische Hauptkennzeichen ist ein von ihm als „schildförmig“

charakterisierter Zuschnitt des Antlitzes als Quadrat, das nach unten im Halbkreisbogen abschließt. Eine breite Stirn wird nach oben durch den Haaransatz, oder durch den Rand von Schleier oder Krone fast waagerecht begrenzt Diese Form ist zwischen 1280/90 und 1350/60 in Zentrallothringen vorherrschend.
Die St.Arnualer Madonna hat nicht diese Gesichtsform und ihre Augenform, die für Schmoll bei der Zuordnung zu den skulpturalen Strömungen ihrer Zeit ein charakteristisches Merkmal ist, ist nicht „lothringisch“ .

Ungefähr zur selben Zeit geschaffene Skulpturen aus der Südchampagne mit Schwerpunkten in Langres und Troyes zeigen länglich ovale Gesichtskonturen, nach unten spitz zulaufend – Schmoll spricht von „umgekehrter Tropfenform“. Zur St.Arnualer Madonna schrieb er mir: Sie „nähert sich den Typen der Südchampagne, ohne diese gänzlich nachzuvollziehen. Sie stellt eine Mischform dar – immer was das Antlitz betrifft – zwischen der zentrallothringischen und der südchampanesken Erscheinung“ Er sieht in ihr ein Beispiel jener Synthese, die im Trierer Bereich und im Luxemburgischen auftritt und am besten in der im Luxemburger Museum aufbewahrten Madonna von Übereisenbach veranschaulicht sei. „Diese hat auch jene eigentümlich leicht schräggestellten mandelförmig geschlitzten und zu den Schläfen lang ausgezogene Augen. Beide Merkmale scheinen auf die Eigenheiten einer Werkstatt zu verweisen, die im Trierer Raum gearbeitet haben dürfte. Es bestehen aber auch Unterschiede zwischen der St. Arnualer und der Übereisenbacher Figur, z.B. bei der Faltenstruktur.

Zusammenfassend schrieb Schmoll: „Die Zuordnung bleibt hypothetisch. Es gibt bisher keine absolut vergleichbare Stehmadonna mit dem Fund von St. Arnual….So bleibt sie vorerst ein Einzelfall innerhalb des weiteren Umkreises…..Da sie kaum in Saarbrücken gearbeitet worden sein kann, muss sie aus einem Ort gekommen sei, an dem Bildhauerwerkstätten angesiedelt waren. Da Metz aus stilistischen Gründen weniger in Frage kommt, wäre an Trier zu denken…Für ihre Entstehung ist die Zeit um 1350 vorzuschlagen.“

Zum möglichen Herstellungsort Trier möchte ich bemerken, dass der Stein nicht aus dem Moselland, sondern aus der südöstlichen Champagne, also Grossraum Langres, stammen dürfte. Zwar wurde Baumaterial im Mittelalter über weite Strecken transportiert; aber auffallend ist doch, dass der wahrscheinliche Herkunftsort des Steinmaterials in derselben Landschaft liegt, deren Bildhauerarbeiten eine Komponente der von Schmoll angesprochenen Synthese darstellen.

Die Wahrscheinlichkeit der Anfertigung in einer auswärtigen Werkstatt löst die Frage nach der Entstehungsgeschichte der Figur aus, die bisher noch nicht diskutiert wurde, insbesondere die Frage, ob die Figur von den St. Arnual Stiftsherren in Auftrag gegeben worden ist, also von Anfang an für die Stiftskirche bestimmt war oder ob sie ursprünglich für einen anderen Auftraggeber zur Anstellung an einem anderen Ort angefertigt worden war und erst später, sozusagen in sekundärer Verwendung nach St. Arnual kam. Denkbar ist, dass ein dem Stift nahestehender Geistlicher oder Adliger, z.B. Graf Johann II. von Saarbrücken-Commercy, der die Grafschaft Saarbrücken von 1342-1381 regierte und im Auftrag des Kaisers und des französischen König eine Reihe westeuropäischer Städte aufsuchte, die Figur erworben und dem Stift geschenkt haben könnte.

Zur Materialfrage hat Herr Prof. Ludwig Heck, em. Mineraloge der hiesigen Univ., für die von Herrn Selmer und mir vorbereitete ergänzende Dokumentation über die Stiftskirche und ihren Kreuzgang einen interessanten Beitrag geliefert, und zwar nicht zum Stein, sondern zur Farbe. Seine Untersuchungen des blauen Farbstoffes am Gewand der Madonna ergaben mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Verwendung von Azurit aus den Wallerfanger Kupfererz-vorkommen. Da kommt der Gedanke auf, ob die Figur nach Fertigstellung durch eine auswärtige Bildhauerwerkstatt ihre farbige Fassung erst hier in St. Arnual erhalten hat.

Wie schon erwähnt, verneint Restaurator Grabowski einen längeren Zeitraum zwischen Beendigung der Bildhauerarbeit und Bemalung. „Wallerfanger Blau“ war im Spätmittelalter bis ins 16.Jh. herein eine begehrte Farbe, die ausweislich älterer Literatur in Oberitalien und Nürnberg gehandelt wurde, und nach neueren Untersuchungen von Ludwig Heck auch zur Ausmalung mancher Räume im Papstpalast in Avignon verwendet wurde. Folgen wir Schmolls Hypothese einer Herstellung der Statue in einer Trierer Werkstatt, dann wäre Wallerfanger Blau dorthin ebenso leicht, per Schiff oder Karren, als nach St. Arnual zu bringen gewesen.
Also auch hier offene Fragen.

4. Ehemaliger Standort

Die schon angesprochene, sehr oberflächliche Ausarbeitung der Rückenpartie der Statue läßt erkennen, dass sie bestimmt war für eine Betrachtung von vorne und von den Seiten, aber nicht von rundum, m.a.W. zur Aufstellung vor einer Wand oder vor einem Pfeiler oder in einem Gehäuse mit Rückwand. Von der Architektur der Stiftskirche her gesehen kommen dann in Betracht.

4.1. Steinerner Mittelpfosten am Hauptportal der Westfassade (Trumeau)

Die aus hiesigem Sandstein gearbeitete Plastik am Westportal, die Michael Jähne in das 2. Jahrzehnt des 14.Jhs,.datiert, zeigt teilweise Marienthematik. Auf der linken Seite des Türsturzes erscheint die Flucht nach Ägypten. Die beiden figürlichen Reliefs an den Türsturzkonsolen des linken Durchgangs veranschaulichen die Verkündigung an Maria, sie selbst wird an der linken Konsole abgebildet, der Engel rechts.
Der Mittelpfeiler (Trumeau) ist mit Konsole und Baldachin ausgerüstet, also zur Aufstellung einer Figur geeignet.
Der Abstand zwischen der Standfläche der Konsole des Trumeau und dem darüber befindlichen Baldachin beträgt 139 cm, dazu noch einmal 13 cm bis zum Scheitelpunkt des kleinen Gewölbes im Baldachin
Die Statue mißt heute in der Höhe 112 cm, allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Spitzen der Laubkrone abgebrochen sind, so dass die Gesamthöhe ursprünglich 3-5 cm höher gewesen sein dürfte.
Der Größe nach könnte die Madonnenstatue hier gestanden haben. Die Konsole und die Plinthe (Bodenplatte) der Figur sind aber nicht aufeinander abgestimmt. Die Konsole ist sechseckig mit einer maximalen Breite von 40 cm und einer maximalen Tiefe von 26 cm, während die Plinthe der Figur, wie schon gesagt, ungefähr die Form eines Parallelogramms hat und seitlich über die Konsole ausgefluchtet wäre.

Gegen eine lang andauernde Aufstellung in der Vorhalle spricht das Ausmaß der erhaltenen farbigen Fassung. Wenn wir davon ausgesehen, dass die Vorhalle zunächst offen war und erst im Laufe der zweiten Hälfte des 15.Jhs. oder noch später durch eine Mauer mit einem Kielbogenportal in halber Höhe geschlossen wurde, dann wäre die Madonna, unter der Voraussetzung, dass sie bald nach ihrer farbigen Fassung dorthin gestellt worden wäre, mindestens ein Jahrhundert lang der Witterung ausgesetzt gewesen. Die Existenz der halbhohen Abmauerung lässt sich nachweisen durch eine Bleistiftzeichnung von Georg Heinrich Pitz oder Georg Philipp Pitz um 1800 (Schneider S. 406).
Vielleicht könnte der Trumeau nicht der primäre, wohl aber der letzte Aufstellungsort vor der Vergrabung gewesen sein, darauf komme ich noch zurück.

4.2. Altar

Als primären Aufstellungsort vertrete ich einen Altar.
Dazu zunächst einige Sätze zur Marienverehrung in der Stiftskirche in vorreformatorischer Zeit. Aufgrund schriftlicher Quellen können wir Marienverehrung an drei Altären festmachen.
Liebfrauenaltar
Genannt im Testament des Ritters Heinrich von Thetinga von 1317: in altari beate Marie virginis ecclesie Sancti Arnualis (LA SB N-Sbr.II 2446 S.219f.), dann wieder
1424 vor unser lieben frauwen in yrem kore zu St.A. ( StiftsA Bd. 2 S. 116)
Wo dieser Liebfrauenchor zu lokalisieren ist, sagt uns eine Urkunde von 1469, nämlich dort wo die erste Gemahlin Graf Johanns III. bestattet ist. Ihr Grabmal in der Nordwestecke des nördlichen Querschiffs ist bekannt als Teil des qualitätsvollsten aller hiesigen Grabdenkmäler. Emanuel Roth hat zu Zeiten der großen Sanierung unter dem Grabmal eine kleine Gruft mit noch erhaltenem Treppenabgang festgestellt (Roth II (1998) S.156ff.), im selben Querschiff fand er zwei Sickerkästen, die zu einer Doppelpiscina an der Ostwand des nördlichen Querschiffes gehört haben müssen, deren Reste hinter dem Grabmal Graf Philipps III. noch vorhanden sein könnten.
In Verbindung archäologischer Aufschlüsse und schriftlicher Quellen lässt sich also der Standort des Liebfrauenaltars exakt bestimmen, nämlich da wo heute das Grabdenkmal des Grafen Philipp III. und seiner beiden Frauen steht.
Die genannten Grabmäler wurden im Auftrag des Grafen Ludwig I. von Nassau-Saarbrücken, Gründer des Ludwigsgymnasiums, durch den im 2. Jahrzehnt des 17. Jhs.in Saarbrücken nachweisbaren Bildhauer Bernhard Falk ausgeführt (Zimmermann, KD Sbr. S. ), spätestens zu diesem Zeitpunkt muss der dort ehemals vorhandenen ULF-Altar abgebaut worden sein. Die Marienfigur mußte, wenn sie bisher auf dem dortigen Marienaltar gestanden hatte, einen neuen Platz finden Es läßt sich die Ansicht vertreten, dass sie nun auf die Konsole des Trumeaus am Westportal gestellt wurde. Herr Architekt Wandel begründet den Trumeau als letzten Aufstellungsort mit der Nähe zu dem dicht daneben liegenden Vergrabungsort. Ein Herunternehmen der immerhin 4 Zentner schweren Figur vom Trumeau und ihr Vergraben in der Nordwestecke der Vorhalle hätte jedenfalls einen geringeren Aufwand erfordert als ihr Herbeitransportieren von irgendeiner anderen Stelle der Kirche.

Nikolausaltar (genauer Standort nicht bekannt)
Erwähnt schon 1382 und 1419, Zunftbrief der Bruderschaft der Steinschleifer ( Polierer) von 1478, Mitglieder auch aus St. Wendel, Oberrhein, Verbindung zu anderer Poliererzunft im Hochwald, also überlokaler Einzugsbereich , Mitglieder sind verpflichtet jährlich an Meßfeiern, die an vier Marienfesten Purificatio (Lichtmeß) 2.Febr., Annuntiatio (Verkündigung) 25. März, Assumptio (Auffahrt) 15. August, und Nativitas (Geburt) 8.September am St. Nikolausaltar der Stiftskirche gehalten werden, teilzunehmen (Oswald Johanni S.132-135)

Georgsaltar (genauer Standort nicht bekannt)
Gestiftet 1449 von dem adligen Hans von Rittenhofen und seiner Ehefrau Heilig von Rodenhausen. Geweiht zur Ehren der Hl. Georg, Unserer Lieben Frau, des Evangelisten Johannis und Jacobus minor mit jährlichen Messfeiern an den sechs höchsten Marienfesten Purificatio, Annuntiatio, Visitatio,(2.7.) Assumptio, Nativitas und Conceptio (8.12.) (LA SB N-Sbr.II Nr. 2447 fol. 113-116).

Man sollte sich die spätmittelalterlichen Altäre nicht als bloßen Tisch- oder Blockaltar, so wie dies heute üblich ist, vorstellen, sondern in einem mehrteiligen Aufbau.
Auf oder hinter der auf Stützen oder einem Block aufliegenden Altarplatte (mensa) stand eine Schauwand (Retabel) oder ein Gehäuse (Altarschrein) mit oder ohne verstellbare Seitenflügel. Das Gehäuse enthielt ein Tafelgemälde oder plastische Darstellungen biblischer oder hagiographischer Thematik oder eine Figur aus Holz oder Stein, oft umgeben von Zierarchitektur oder Schnitzwerk..

Zur Vervollständigung der Nachrichten über Marienkult in der Stiftskirche sei schließlich noch der St. Annenaltar genannt, vermutlich der jüngste wegen des späten Aufkommens des Kultes der Mutter Marias.

4.3. Konsole oder Sockel

Nicht bekannt, aber nicht auszuschliessen, Am ehesten bei dem einen der beiden anderen soeben genannten Altäre, eher dem St. Georgs- als dem Nikolausaltar, weil der Georgsaltar ja mehreren Heiligen, darunter auch ULF geweiht war, weniger wohl vor einem der östlichen Vierungspfeiler.

5. Gründe der Zerstörung und Vergrabung

Die unmittelbar an die Bergung der Figur anschliessenden sorgfältigen Untersuchungen der Vergrabungsstelle durch Emanuel Roth ergaben keine Hinweise über Zeitpunkt und Umstände der Vergrabung.

Zustand und Lage der Statue bei ihrer Auffindung sprechen dafür, dass sie von einer Personengruppe, für die sie einen hohen Verehrungs- oder Symbolwert besessen haben muss, in aller Eile in bereits beschädigtem Zustand vergraben wurde mit der Absicht, sie vor weiteren Beschädigungen oder gänzlicher Zerstörung zu schützen und eventuell später wieder auszugraben. Die Bilder Roths von der Auffindumng sprechen dafür, dass die Figur nicht von einem Sockel oder auch einem Karren heruntergworfen und zugeschüttet wurde, sondern dass sie sorgfältig gebettet und der lädierte Rumpf des Jesuskindes direkt über ihre linke Schulter gelegt wurden.

Eine Sicherung vor konfessionellen Bilderstürmern scheidet aus.
Zu Zeiten des Bildersturms in den frühen 1520er Jahren, der bekanntlich von Martin Luther scharf zurückgewiesen wurde, sind reformatorische Ansätze in der Saargegend noch nicht hat faßbar. Graf Johann Ludwig v. N-Sbr. als damaliger Landesherr verharrte in Lehre und Kult fest in den überkommenen Traditionen.
Luther äusserte sich wiederholt über den Umgang mit Bildern kirchlichen Inhalts, er duldete ihr Verbleiben in Kirchen als Anschauungsmaterial im Sinne der alten Biblia pauperum, gab aber dem Medium Wort eindeutig den Vorrang vor dem Medium Bild und trat jeder fortdauernden Anbetung von Bildern bisher als heilig verehrter Personen entgegen.
Dementsprechend wurden die Sakralbauten in den neu entstandenen Landeskirchen lutherischen Bekenntnisses meist nicht schlagartig von Heiligenbildern und Statuen „gereinigt“, viel Bildwerk blieb erhalten, sodass heute das Vorhandensein mittelalterlicher sakraler Kunstwerke in ev. Kirchen unter dem Schlagwort „Bewahrenden Kraft des Luthertums“ apostrophiert wird.

In unserem Zusammenhang spielt auch die Bewertung Marias in der lutherischen Theologie des Refomationsjahrhunderts eine Rolle. Aus den Ausführungen von Herrn Wien am Montag greife ich vier wichtige Punkte auf

1. Maria behält ihren Stellenwert als Mutter Jesus ,vgl. 2. Glaubensartikel „geboren von der Jungfrau Maria“

2. der Glaubensbegriff „Himmelfahrt“ bleibt allein auf Christus beschränkt, infolge dessen wird die Auffahrt Mariae – Assumptio, Fest am 15. August, strikt abgelehnt.

3. Als Mutter Jesus ist Maria eine begnadete Persönlichkeit, aber nicht eine selbst Gnaden spendende,

4. Maria gilt nicht als Symbol der gesamten Kirche.

Luther wandte sich gegen die Auffassung Marias als der Himmelskönigin und der Mittlerin, die ihren zürnenden Sohn gnädig stimme.
Er forderte jedoch die dankbare Verehrung der biblischen Gottesmutter und verherrlichte sie in der Auslegung zum Magnificat und in seinen Marienpredigten als Urbild der Demut und der Reinheit.
Auch die Apologie zur Conf. Aug. nennt Maria dignissima amplissimis honoribus (die mit höchsten Ehren Allerwürdigste).
Von den zahlreichen spätmittelalterlichen Marienfesten übernahm das Luthertum nur die drei sich auf im NT genannten Ereignisse beziehende , nämlich
Mariae Verkündigung (Lukas 1, 26 -38) – 25. März
Mariae Heimsuchung = während ihrer Schwangerschaft Besuch bei ihrer Cousine Elisabeth (2.Juli) Lukas I. 39 ff.
Mariae Reinigung = Jesu Darbringung im Tempel / Lichtmeß 2. Februar. (Lk.2, 22)
Diese drei Marienfeste sind auch unmittelbar auf Jesu bezogen.
Die übrigen Marienfeste: Geburt (08.09), Empfängnis (8.12.) , Opferung im Tempel (21.11.) aus apokryphen Evangelien oder Hochrechnungen entstanden), entfielen, weil ohne biblische Grundlage.

Werfen wir nun einen Blick darauf, wie die Grafen von Nassau-Saarbrücken nach der Einführung des lutherischen Bekenntnisses mit Wirkung zum 1. Januar 1575 mit dem überkommenen Kircheninventar und dem bisherigen Marienkult umgingen.
Zu einer schlagartigen Beseitigung aller an kath. Kultus erinnernden Einrichtungs-gegenständen kam es auch hier nicht. Der neu eingesetzte saarbrückische Superintendent Beilstein veranlasste bald nach seiner ersten Vistationsreise zur Verbesserung der Vermögensverhältnisse einzelner Pfarreien den Verkauf von Heiligenstatuen aus Edelmetall, z.B.eine Statue des Lokalheiligen Markulf in Settingen bei Saargemünd.
Dass wirklich kein Druck gemacht wurde, vorreformatorische Kirchenausstattung auszuräumen, ergibt sich daraus, dass eine Ordnung von 1617 zur Vereinheitlichung des Kultus in allen n.-saarbr. Landesteilen, also 42 Jahre nach Einführung der Reformation, die Anweisung enthielt: Wo mehr als ein Altar vorhanden ist, solle man die überflüssigen Altäre samt den noch vorhandenen Bildern mit guter christlicher discretion nach und nach abschaffen. Die neue Kirchenordnung vom folgenden Jahr (1618) verfügte dann, Sakramentshäuschen, Taufsteine und Hochaltäre zu entfernen.
Auch der Marienkult endete nicht abrupt nach Einführung der Reformation
In der nassau-saarbrückischen Agende von 1575 waren Mariae Reinigung ( 2. Februar), Mariae Verkündigung (25. März) und Mariae Heimsuchung (2. Juli) Feiertage. Die schon angezogene Ordnung von 1617 rechnet Mariae Verkündigung zu den „ganzen Feiertagen“ , an denen zwei Predigten zu halten waren, und Mariae Heimsuchnung zu den „halben Feiertagen“ mit einer Predigt. Ein Rückgang der Marienverehrung wird darin deutlich, dass der 2. Februar jetzt nicht mehr nach Maria bezeichnet wird, sondern als „Jesu Opferung im Tempel“.

Ich habe mich relativ lange bei der Marienverehrung aufgehalten, weil es mir wichtig erscheint, zu verdeutlichen, dass die Vergrabung nicht mit dem Konfessionswechsel motiviert werden kann.

5.2. andere Ursachen

Ich denke an die Beschädigung der Statue durch pietätloses, vielleicht sogar akirchliches Kriegsvolk und eine bald anschließende Vergrabung durch Angehörige der Ortsbevölkerung unter bewusster Beigabe des Torsos des Jesuskindes in der Absicht einer späteren Hebung und eventuellen Wiederaufstellung.
Wenn ich die beiden Parameter – pietätlöse Soldateska und Vergrabung mit der Absicht späterer Hebung – zugrunde lege, dann kommt für mich am ehesten der Zeitraum zwischen 1627 und 1635 in betracht.
Im September 1627 inszenierten Offizieren der im kaiserlichen Dienst stehenden kratzischen Regimenter, die wegen ihrer Zuchtlosigkeit verschrieen waren, einen Raub- und Plünderungszug gegen Nassau-Saarbrücken, weil Bauern in der zu Nassau gehörenden Grafschaft Saarwerden im Krummen Elsaß sich gegen die brutale Art der Eintreibung von Proviant und Fourage durch kaiserliche Soldaten bewaffnet zur Wehr gesetzt hatten. Zeitgenössische Quellen berichten von Raub, Plünderung, Brandlegung, Totschlag und Vergewaltigung und – in unserem Zusammenhang bedeutsam, – das gräfliche Begräbnis und die Kirche spoliert ( geplündert), alle Türen mit Gewalt zerschlagen und alles was zu bekommen gewesen, mitgenommen haben (Schneider , 1998, S. 398). Die Brüder Kratz von Scharfenstein als Kommandeure der beiden Regimenter behaupteten, Graf Ludwig v. N-Saarbr. habe in geheimen Einverständnis mit Frankreich gestanden.
Einquartierung französischer Truppen seit 1632 in der Grfsch. Sbr. Die nassau-saarbrückische Rentkammer spricht ausserordentliche Ausgaben der Stiftskirchenverwaltung an, weil durch das franz.. Militär Fenster, Öfen und Türen zerschlagen und verderbt worden seien ( Schneider ebenda).
August1633 schwedische Garnison in Sbr.
Erneute Stationierung schwedischer Truppen in Saarbrücken Juni/Juli 1635, Besetzung durch kaiserliche Truppen in der 2. Julihälfte, Belagerung durch die vereinigten schwedischen und franz. Truppen, am 29.Juli Kapitulation der kaiserlichen Garnison in Sbr., Stationierung franz. Truppen in Sbr., im September Gegenangriff der Kaiserlichen unter Gallas, am 28.. 9. Einschließung von St. Johann, am folgenden Tag von Saarbrücken, am 30. September Kapitulation der französischen/schwedischen Besatzung in St. Johann, am 3. Oktober der Besatzung in Saarbrücken.
Man stelle sich vor, dass in den Monaten Juli – September 1635 Saarbrücken und St. Johann mehrmals belagert wurden,die Rolle von Angreifern und Belagerten mehrfach wechselte, dass bei der Belagerung von Städten gerade das Umland schwer darunter zu leiden hatte, dass sich die Soldaten selbst zu versorgen hatten und nicht mit regelmässiger Verproviantierung durch die Truppenführung rechnen konnten. („die Armee ernährt sich selbst !) Über die Auswirkungen auf die Bevölkerung liegen einige Nachrichten vor. Der Saarbrücker Rentmeister Klicker berichtet am 7. Dezember 1635 über die Zahl der am Ort verbliebenen Einwohner nach den Schreckensmonaten. Über St. Arnual schreibt er: daselbst seind die Häuser gänzlich ruiniert und nur noch 4 Untertanen am Leben (vermutlich nicht 4 Personen, sondern vier steuerzahlende Untertanen, also eher 4 Familien).
Eine nach der Flucht der Grafen eingerichtete kaiserliche, dann lothringische Sequester-verwaltung der Grfsch Sbr. und die Fortsetzung der Kämpfe franz. Truppen gegen lothringische und spanische, wenn auch in geringerem Umfang, hielt die geflohene Bevölkerung davon ab, bald zurückzukehren.
Unter der verbliebenen Bevölkerung verursachten Hungersnöte weitere Todesfälle. Sie hatte sich im Amt Saarbrücken zwischen 1632 und 1648 um 84 % reduziert, m.a.W. nur 16 % hatten überlebt bzw. waren ortsansässig geblieben. Kein anderer Abschnitt der saarländischen Geschichte kennt einen so tiefgreifenden Einschnitt in die Bevölkerungsstruktur.
Auch ist zu bedenken, dass die Unterzeichnung der Friedensverträge von 1648 in Münster und Osnabrück für das Land an der Saar nicht tatsächlich das Ende von Kampfhandlungen und Einquartierungen brachte, weil der Herzog von Lothringen und der König von Spanien, dem damals auch Luxemburg gehörte, nicht in den westfälischen Friedensschluss einbezogen waren, also die politische Lage noch nicht so war, dass die Gefahr neuer Ausschreitungen durch disziplinloses Militär gebannt schien..
Der starke Bevölkerungsrückgang, der ja auch die Zahl derjenigen, die den Vergrabungsort kannten, dezimierte, kann dazu geführt haben, dass, nachdem wieder friedlichere Zeiten gekommen waren, niemand mehr von der Vergrabung einer beschädigten Marienfigur wusste. Gerade dies bestärkt mich, eine Vergrabungszeit zwischen 1627 und 1635 am wahrscheinlichsten zu halten.

Die nachfolgenden Besetzungen des Saarbrücker Landes kommen aus meiner Sicht weniger in betracht. Kaiserliche und französische Truppen waren auch in den 1670er und 1680er Jahren eingesetzt oder einquartiert, über Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung ist wenig bekannt. Dass französisches Militär Marienfiguren demoliert habe zur selben Zeit, zu der die französischen Beamten an der Saar im Auftrag ihres Königs – Ludwigs XIV. – eine Reaktholisierung betrieben, erscheint mir wenig plausibel.
Ein Bericht des St.Arnualer Pfarrers J..H.Schmidt von 1726 über den Zustand der Stiftskirche enthält, dass die hochgräflichen Epitaphia im Chor schier alle verschändet, in dem die Nasen, Finger etc. abgehauen., aber kein Wort von einer Marienstatue.
In den Jahren der Franz. Revolution war zwar der Respekt vor sakralen Gegenständen weitgehend verloren gegangen, manche Kirchen profaniert worden. Zwei Gründe halten mich davon ab, die Jahre 1792ff als möglichen Zeitpunkt der Beschädigung und Vergrabung der Figur anzusehen,
einmal die Tatsache, dass in den zeitgenössischen Berichten über das Verhalten der Rev.Truppen in St. Arnual nur der Diebstahl der Sanduhr von der Kanzel der Stiftskirche erwähnt wird., Allerdings ist gerade in der St. Arnualer Pfarrchronik von Pfr. Handel das Blatt zum Jahr 1794 herausgerissen. Auch der Saarbrücker Chronist Gottlieb schreibt nichts über eine solche Figur und was für mich noch schwerer wiegt, auch die verschiedenen Mitglieder Familie Köllner, vor allem Friedrich und Adolf, die sich intensiv mit der Geschichte von Saarbrücken beschäftigten und die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit in gedruckter und handschriftlicher Form hinterlassen haben, wissen nichts von einer vergrabenen Marienfigur.. Einer ihrer Verwandten hatte 1806 den Kreuzgangbereich gekauft und bevor er ihn wieder 1832 veräußerte, aus dem Kreuzgang Grabplatten in den Hof seines Wohnhauses in der Saarbrücker Schloßstraße schaffen lassen. Hätte die Köllners nicht auch nach einer vergrabenen Marienstatue suchen lassen, wenn davon etwas bekannt gewesen wäre ?

Zum andern :Zeitzeugen der Vergrabung in der Zeit der Franzt. Rev. müßte es doch noch in den ersten Jahren des 19.Jhs. nach Stabilisierung der Verhältnisse und dem Ausgleich Napoleons mit den Kirchen aller Konfessionen gegeben haben. denn es hatte ja keine starke Verminderungen der ortsansässigen Bevölkerung durch Tod oder Abwanderung gegeben..

Zum Vortrag/Text

Meine Damen und Herren,
ich habe versucht, Ihnen die sogen.-„Daarler Madonna“ zu beschreiben und die Problematik der Geschichte dieser Figur näher zu bringen. Dabei sind grundsätzlichen Fragen nach Entstehungsort, Auftraggeber, primärem und sekundärem Standort, Zeitpunkt und Motivation der Vergrabung offen geblieben. – Fragen , die zu weiterem Nachdenken und Nachforschen anregen, aber zunächst freuen wir uns, dass die Madonna als ältestes Ausstattungsstück aus vorreformatorischer Zeit nun wieder in trefflich restaurierter Form in unserer Stiftskirche steht.

NICHT VORGETRAGEN AM 4.MAI

6. Restaurierung

Die Restaurierung war keine Routinearbeit, vielmehr musste restauratorisches Neuland betreten werden, sie vollzogsich in mehreren Stufen

  • Dokumentation der ursprünglichen Lage jedes einzelnen Bruchstück
  • Entwicklung eines Klebers von hoher Kohärenz und geringem Volumen
  • Reinigung der Oberfläche bei gleichzeitiger möglichst vollständiger Erhaltung der polychromen Oberfläche.

Durchgeführt von Martin Grabowski, Euskirchen, unter Assistenz von Dipl. Restauratorin Karen Keller, Köln, Entwicklung des Klebers durch das Chemikerehepaar Dres. Elisabeth und Erhard Jägers, Bornheim, unter ständiger Beratung durch den Mineralogen Dr. Jürgen Legrum, Wiesbaden, Reinhold Ellenz vom Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz und der Saarbrücker Arbeitsgruppe der Stiftskirchensanierung (Architekt Dipl. Hubertus Wandel, Landeskonservator Dipl. Johann Peter Lüth, Dr. Reinhard Schneider, und dem vom Ev. Stift gebildeten Bau- und Finanzausschuss, dem Dipl. Ing. Hertel, Bankdirektor Braun, Pfarrer Rolf Joachim Kiderle und Ref.angehörten. Das entwickelte Sanierungskonzeopt wurde im April 1996 im Rahmen eines vom Ev. Stift finanzierten Werkstattgesprächs in Euskirchen einem grösseren Kreis von Fachleuten vorgestellt und diskutiert Die Arbeiten wurden im Mai 1998 abgeschlossen und die restaurierte Statue bald daraui als Leihgabe in der Alten Sammlung der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz aufgestellt, im Rahmen der Neugestaltung dieser Museumsabteilung seit Frühjahr 2004 in der Schloßkirche Saarbrücken gezeigt, bis sie am 26.727.April 2005 in die Stiftskirche überführt und dort auf einer Konsole an der Innenseite der Westwand des nördlichen Seitensiffs eine – wie wir alle wünschen – endgültige Aufstellung gefunden hat, ohne direkter Sonnenbestrahlung und ohne Gefahr einer latenten Beschmutzung durch Warmluftströme der Fußbodenheizung ausgesetzt zu sein. Die Stiftskirche besitzt in dieser Statue das ältestes bekannte Stück ihrer vorreformatorischen Ausstattung. Taufstein und die ältesten Grabmäler datieren aus der zweiten Hälfte des 15. Jhs. , die vorreformatorischen Altare, Lettner, Kanzel und Sedielien der Stiftsherren sind, in der Frühneuzeit entfernt worden, grösser teile des Kirchenschatzes u.a.mit Arnualsfogur wurden in den 1560er Jahren gestohlen., also all dies für immer verloren.

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